letzte Woche 1

Die letzte Woche mit ihrem dreitägigen Trip und den zwei Tagen in der Schule empfand ich als ziemlich anstrengend, so dass ich am Samstag zuhause blieb. Es gab auch gar keine andere Möglichkeit, denn es regnete in Strömen. Ich schrieb weiter an meinem Blog und las einen wissenschaftlichen Artikel, den Sue in ihrer Universitätszeit geschrieben hatte. Er behandelte in einem historischen Abriss die Prinzipien des Sprachunterrichts, die in Victoria in den letzten 100 Jahren galten. Angesicht der Flüchtlingssituation bei uns war für mich besonders interessant, dass in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Tendenz bestand, die Migranten möglichst schnell Englisch lernen zu lassen und die Herkunftssprachen weitgehend zu unterdrücken, um die Integration zu befördern, also Abend- und Wochenendschulen, die oft privat finanziert wurden, nicht mehr zu unterstützen. Inzwischen ist man davon abgekommen, es gibt sogar Angebote für Lettisch und ähnliche selten gesprochene Sprachen. Sue hatte auch eine DVD mit dem Film über Hannah Arendt, den ich vor längerer Zeit schon in Deutschland gesehen hatte, bei sich herumliegen. Ich sah mir das Booklet an und las einen Brief, den sie an Gershom Sholem, mit dem sie wohl befreundet war und mit Gerhard anredete, geschrieben hatte. Arendt war von jüdischer Seite schwer angegriffen worden, weil sie den Begriff von der Banalität des Bösen angesichts des Eichmann-Prozesses in Jerusalem geprägt hatte. Ich kann den Brief nur allen zum Lesen empfehlen, eine eindrucksvolle Frau und Denkerin. In dem Booklet befand sich auch eine Biografie von Eichmann. Er bezeichnete sich im Prozess als ein unbedeutendes Rädchen in der Faschistischen Maschinerie, verschwieg aber, dass er ein fanatischer Ideologe war, was erst viel später Aufzeichnungen aus Argentinien deutlich machten. Auch einen Spielfilm über Eichmann, der dies alles berücksichtigt, sah ich mal im Fernsehen. Das fiel mir nun alles wieder ein. Ich verteidige meinen Fernsehkonsum ja immer mit dem Hinweis auf solche bildenden Histo-Soaps, und zu einem gewissen Prozentsatz tun sie das auch. Aber die unmittelbare Quellenlektüre wie dieser Brief von Hannah Arendt geht doch weit darüber hinaus. Sie kannte diese Aufzeichnungenn Eichmanns nicht, den Begriff der Banalität des Bösen halte ich aber nach wie vor für einen der wichtigsten, um das, was in aller Welt geschieht, zu begreifen.

Abends waren wir mit den Musikkollegen, die schon in Marburg waren, und ihren Partnern zum Essen in einem indischen Restaurant. Es gibt in Australien eine Besonderheit, von der ich noch nie gehört habe: B y o , das heißt bring your own. Gemeint ist, dass man sich seinen Wein selber mitbringen kann, Bier und Spirituosen aber nicht. Früher war das ganz umsonst, jetzt muss man 10 Dollar für das entkorken bezahlen, wohl ein Relikt aus der frühen Siedlerzeit. Damit Angelika nicht so weit fahren musste, trafen wir uns ganz in der Nähe ihrer Wohnung, ich wurde von einer Musiklehrerin und ihrem Mann abgeholt und auch wieder zurückgebracht. Das Restaurant heißt the Indian blurrp, was soviel wie Rülpser bedeutet. Sue konnte sich gar nicht fassen vor Lachen und meinte, da würde sie nie hingehen. Ich fand es ganz gut und bestellte ein Hühnercurry spicy, worauf der Kellner stockte und mich die Anderen darauf hinwiesen, dass das sehr scharf sei. Ich schwächte dann auf Medium ab, was ohne weiteres erträglich war. Mit der Zeit nimmt mein Interesse für Scharfes zu, wohl bei gleichzeitiger Abnahme der Fähigkeit, geschmacklich zu unterscheiden. Das wird ja vielen alten Männern nachgesagt……..

Am Sonntag traf ich mich mit Angelika zu einem Besuch des Melbourne Museum of modern art. Es liegt ganz ungünstig weit draußen, deshalb waren wir froh, dass Sue ein Stück weit in die Stadt fuhr, Angelika an einer Bahnstation aufgriff und uns dann gemeinsam an diesem Museum ablud. Es heißt auch Heide, gesprochen wie das Mädchen aus den Bergen und ist eine Abkürzung für Heidelberg. Überhaupt finden sich in den einzelnen Stadtbezirken ähnliche Ortsnamen wie Brunswick und Altona, ein Hinweis auf die Deutschen Einwanderer oder wie in diesem Falle die Begeisterung für eine deutsche Stadt, die sich betuchte Reisende aus Australien im frühen 20.Jhdt. leisten konnten. Ich sah in einer kleinen Fotoausstellung Bilder eines Autos mit Wohnwagen vor einem Alpenpanorama und Rom, Bilder uns den 50er Jahren, wo eine solche Reise für meine Eltern und ihre Generation undenkbar waren. Das Museum wurde gegründet von einem wohlhabenden Ehepaar, das dort in einem Haus aus dem 19.Jhdt lebte und junge Künstler unterstütze und sammelte. Das Geld kam aus dem Erbe der Ehefrau, die es sich wohl darum auch leisten konnte, eine Menage a trois zu führen mit einem der jungen Künstler, sich aber nie von ihrem Mann trennte. Beide ließen sich später ein zweites Haus in der Nachbarschaft von einem Stararchitekten bauen, das ich sehr eindrucksvoll finde, da es aus geheimnisvollen Gängen und Innenhöfen besteht, aber keinerlei Türen aufweist.img_3285img_3282img_3280img_3278img_3281 In ihrem letzten Jahr kehrten sie in ihr erstes Haus zurück und heute ist das Ensemble zusammen mit einem großen Galerieanbau eben das Heide-Museum. Wir sahen eine sehr interessante Ausstellung über 3 Malerinnen der gleichen Generation (2 Australierinnen und 1 Amerikanerin), alle am Ende des 19.Jhdts geboren und ziemlich alt geworden, die Amerikanerin Georgia O’Keefe sogar 98. Obwohl ich ihre Bilder am wenigsten mochte, war ich doch von ihrem Leben fasziniert, das sie zu großen Teilen in einem Haus in der Wildnis Neu Mexicos verbracht hat, man konnte einen Film darüber sehen. Gerade hatte mir Monika von ihrem Aufenthalt dort berichtet, es gibt sogar ein eigenes O’Keefe-Museum in Santa Fe. Die Landschaft ist wirklich sehr eindrucksvoll und ich glaube, das ist eine Gegend, in die ich auch noch mal reisen möchte.

Die Rückkehr nach Hause war zunächst sehr nervig. Sue hatte uns den Weg mit Bus und Train beschrieben, ich schaute aber noch mal in meiner App und bekam eine zweistündige Rückkehr mit Bus angezeigt. Wir gingen also zur Bushaltestelle, aber kein Bus kam wie angekündigt. Dann fiel mir auf, dass der von Sue vorgeschlagene Weg in die andere Richtung ging,  auch dort hätte eigentlich ein Bus kommen müssen, kam aber nicht. Bei meinem nächsten Blick auf die App erschien nun plötzlich eine andere Buslinie, die uns in kürzerer Zeit hätte transportieren können, also rannten wir dorthin um schließlich festzustellen, dass der Bus um diese Zeit am Sonntag gar nicht fährt. Wir gingen also zurück und sahen gerade einen Bus abfahren. Ziemlich verärgert setzten wir uns auf die Bank an der Bushaltestelle, immerhin vertrieben wir uns die Zeit mit googeln. Monika hatte in ihrem Bericht von Adobe-Häusern gesprochen, den Begriff kannte ich bisher nur im Zusammenhang mit der Softwarefirma, deren Produkte ich verwende. Auch im Film über O’Keefe war davon die Rede und ich hatte mir schon gedacht, was das Wort meint. Aber es ist doch schön, an einer Haltestelle im Niemandsland einer x-beliebigen Vorstadt Melbournes zu sitzen und sich bei Wikipedia über die Lehmbauweise zu informieren. Zwischen dem Verlassen des Museums und der Ankunft zuhause lagen dann insgesamt 2 Stunden und 35 Minuten, not livable, wenn man nicht yogischen Gleichmut besitzt oder ein Handy mit Internetanschluss.