zweite Woche 1

Am Montag fuhr ich wie gewöhnlich mit Sue morgens zur Schule. Am Abend sollte Speechnight sein, eine Veranstaltung, auf der die besten Schüler ausgezeichnet und lange Reden gehalten werden. Angelika hat das schon dreimal miterlebt und ist wenig erbaut davon, deshalb ist sie für 3 Tage zu ihren Verwandten nach Adelaide geflogen. Das Wesley College ist eine Privatschule und ganz anders organisiert als unsere Gymnasien. Auf einem riesigen Campus stehen verteilt mehrere Gebäude, die Ausstattung ist ungewöhnlich gut und die Lehrer haben nach Fachgruppen eigene Büroräume. Nachdem ich zunächst im Büro der Sprachenabteilung etwas weiter an meinem Blog geschrieben hatte, geriet ich in den Aufbruchstrubel von Schülergruppen, die zur Probe mit Bussen in die Stadt gekarrt wurden, um Auf-und Abgänge während der Veranstaltung zu üben, die in der Townhall, einem ehrwürdigen Konzertsaal, stattfindet. Ich dachte, dass diese Speechnight wegen des 150jährigen Jubiläums dorthin verlegt werde, aber Angelika klärte mich auf, dass sie jedes Jahr dort stattfinde und wohl eine Menge Geld koste. Wir sahen schon bei unserem ersten Besuch in der City große Ankündigungstransparente am Gebäude hängen. Bis alle Schüler im Bus eingestiegen waren, dauerte es eine Weile und das Gefühl, vom Schmetterling ins Stadium der Raupe strafeshalber zurückversetzt zu sein, kam hier in mir besonders auf, war aber während der ganzen Reise schon anwesend. Unsere Schüler sind wirklich sehr nett und pflegeleicht, aber nach dreieinhalb Jahren Ruhestand merke ich doch, dass ich diesen Kontakt zur Schule nicht mehr will. Das wird die letzte Reise sein, die ich mit Schülern mache. Während der Fahrt fragte ich Sue einem plötzlichen Impuls folgend noch nach dem Gebäude, dessen Detail ich in London im Victoria and Albert-Museum gesehen hatte und das ich unbedingt sehen wollte. Es handelt sich um ein bewegliche Runde Glasscheibe, die sich angeblich nach dem Sonnenstand richtet. Als ich ihr das Foto zeigte, erkannte sie es sofort wieder und sagte, es sei ganz in der Nähe. Ich machte mich also selbständig und ging die Swanston Street hoch, an der auch die Townhall liegt. Zunächst war ich etwas enttäuscht, ein steriler und abweisender Block. Aber ich nahm meinen Mut zusammen und ging durch die Eingangstür. Zu meiner Überraschung kam ich ohne weiteres hinein, denn das Gebäude entpuppte sich als die Architekturabteilung der RMIT Universität, einer von mehreren in Melbourne. Ich konnte bis aufs Dach fahren und auch in Räume blicken, in denen Studenten an Computern Häuser konstruierten und Modelle herstellten. Mich faszinierte das Haus aber aus einem anderen Grund. Es ist im wesentlichen aus feuerverzinktem Stahl, einem Werkstoff, den ich selbst im Garten als Teichumrandung und Pergola verwendet habe. Hier waren offenbar Verwandte im Geiste tätig und sogar die Toiletten waren mit den Stahlbändern wie an meinem Teich ausgestattet.

Zurück auf der Straße wurde mir plötzlich klar, dass es sich bei allen witzigen Häusern der Umgebung um Gebäude der Universität handelte, ein quirliger Stadtcampus voll von jungen Leuten. Ich dachte an Marburg und meine Studentenzeit und wie schön es wäre, hier zwei Auslandssemester zu verbringen. Dazu vervollständigte die Entdeckung eines Zeichens inmitten der Buntheit die Erinnerung an die Heimat und erzeugte eine tiefe Beruhigung in mir: Aldi was, nein is here!

Nächstes Ziel war die National Gallery of Victoria, ebenso interessante Architektur, die ich aber kaum adäquat einfangen konnte, nur den Blick vom 2. Stock auf die Glasdecke eines Innenraumes.

Sie enthält eine schöne Sammlung, von allem ein bisschen, natürlich nicht so umfangreich wie in Europa. Eine Stiftung in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat wohl ganz klug eingekauft. Für mich interessant, dass ich hier einen späten Turner fand, den ich ja in London vermisst hatte, Schaffhausen Schweiz betitelt nach meiner Erinnerung. Man sieht so gut wie nichts und im Begleittext fand sich der überraschende Hinweis, dass Turner auch unvollendete Bilder nach Hause geschickt habe und dort erst vor dem Verkauf schnell noch mit Staffage gefüllt habe.

Auch eine Abbildung des berühmten Kastraten Farinelli hängt hier im Kreise seiner Freunde, eine Sängerein und der Padre Metastasio,    Verfasser unzähliger Opernlibretti der opera seria. Der Maler selbst hat sich mit ins Bild gestellt, eine frühe Form des Selfies.

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