zweite Woche 2

Montag Abend dann die sogenannte Speechnight. Ich hatte extra Jackett und Hose bei Sue im Auto liegen lassen, um mich in der Townhall umzuziehen, denn ich wollte vorher in bequemen Kleidern durchs Museum laufen. Die Kleiderordnung war uns ja als sehr wichtig schon in Deutschland angekündigt worden, ganz so schlimm wie befürchtet war es dann aber nicht. Die älteren männlichen Lehrer laufen hier mit Jackett und Schlips herum, alles andere gilt wohl als unseriös, da wollte ich mich natürlich anpassen. Allerdings gibt es auch hier Paradiesvögel wie den Leiter der Theatergruppe, der langhaarig und in Jeans so etwas wie Narrenfreiheit genießt, aber auch sehr gute Arbeit leistet. Da wir ihn schon aus Marburg kannten, wo er mal mit seiner Truppe auf Europatournee Station machte, lud er uns schon letzte Woche in seine Factory ein, eine ehemalige Fabrik, die er in Eigenarbeit mit seiner gesamten Familie einschließlich der Enkel ausgestattet hat, sicherlich ein wichtiger Beitrag zur Off-Theater-Szene in Melbourne, vergleichbar etwa der Waggonhalle in Marburg.

Die Schüler laufen alle in Uniform herum, einem grell-lila Jackett mit einem gelben Löwen als Emblem der Schule darauf, dazu zumeist kurze Hosen bei den Jungen, die wie abgeschnitten wirken, aber offenbar den langen auch bei Kälte vorgezogen werden. Die Mädchen tragen ein schauderhaftes Kittelkleid, aber es scheint so, dass es niemand etwas ausmacht, ja diese Uniform so etwas wie Sicherheit verleiht. Ich selbst bekam bei einem kurzen Treffen mit dem Direktor eine seidene Krawatte in den Farben der Schule als Gastgeschenk, die ich eigentlich während der Speechnight tragen wollte, aber auf der Besuchertribüne war die Kleidung dann so alltagsmäßig, dass ich davon Abstand nahm mich umzuziehen und die Tüte mit meinen Klamotten mit mir herumschleppte. Diese jährliche Speechnight ist für uns Deutsche sehr ungewöhnlich. Am Philippinum haben wir höchstens etwas Vergleichbares mit dem Weihnachtskonzert oder der Abiturentlassungsfeier, daher kenne ich den organisatorischen Aufwand, der betrieben werden muss, um Einzug und Wechsel der Bühnenbesetzung zu organisieren. Vor der Bühne befand sich ein sehr großes Orchester, auf der Bühne nach oben hin gestaffelt Sitzplätze, von denen ich dachte, dass sie für den Chor bestimmt seien. Sie waren aber für die Schüler gedacht, die dann ausgezeichnet wurden. Der beste jeder Klasse oder jedes Kurses bekommt jährlich ein Buch als Anerkennung, egal ob es sich um einen Einser- oder Vierer-Kandidaten handelt. Ich hatte den Eindruck, dass jeder der Schüler und manche mehrfach solche Anerkennungen bekamen, geradezu inflationär. Wir hatten in den Tagen vorher schon das Wort Kuschelpädagogik diskutiert, das in einem Arbeitsblatt für die Abschlussdeutschprüfung vorkam und in seinem für uns negativen Sinn viel zu schwer für australische Schüler verständlich ist. Am Wesley-College betreibt man sie wohl aus gutem Grund, denn die Macht der Eltern, die Tausende von Dollars in die Ausbildung ihrer Kinder stecken, ist groß, das lassen auch die Schüler zuweilen ihre Lehrer spüren. Wie das Verhältnis zum Geld ist, erfuhr ich durch den Leiter der Musikabteilung, den ich auch schon von Marburg kannte. Auch er machte eine Tour durch Europa mit seiner Band. Auf seine Ankündigung fragten die Eltern nur, wieviel die Fahrt denn koste, 7000 Dollar? Eine Unterschrift und fertig, undenkbar bei uns.

Beginn und Ende der Veranstaltung unterliegt einer musikalisch unterlegten Ein-und Auszugschoreographie. Fahnen werden getragen und die Schulleitung folgt in ihren dem schulischen oder akademischen Rang entsprechenden Roben. Sue’s Robe war als einzige, mehr habe ich jedenfalls nicht gesehen, mit einem roten Schal verziert, was wohl ihre Doktorwürde anzeigt, auf die sie sich sympathischerweise gar nichts einbildet. Bei den Rednern handelte es sich unter anderem um folgende, im Programmheft verzeichnete Würden: MEd(PhysEd) BEd DipEd Head of Sport oder BEd GDipCareerEd GDipEdAdmin Head of Senior School, zum Totlachen! Der Abend stand auch unter dem Schutz der Kirche, zwei Priester waren anwesend, von denen Reverend Graham Bartley BCom DipEd BA BDivinity GDipMinistry den Segen spendete. Bei einer solchen Gelegenheit darf offenbar auch nicht die Nationalhymne fehlen, die zu Anfang stehend gesungen wurde, genauso wie die Hymne der Schule am Ende. Ein Mann auf der Bühne stach aus den verschiedenfarbigen Roben heraus, weil er keine trug, dafür aber einen Texashut. Ich erfuhr später, dass es sich um den Leiter einer Depandance der Schule aus dem Aborigines-Gebiet handelt. Die Schule leistet sich diese Art der Wiedergutmachung, für die die Leiterin von Wesley sogar einen Orden bekommen hat. Junge Aborigines werden dort unterrichtet und kommen auch für eine Zeit nach Melbourne, werden aber in streng getrennten Klassen unterrichtet. Da keine Informationen nach außen dringen, lässt sich über den Erfolg des Projektes leider nichts sagen. Wir kamen in Kontakt mit einer Gruppe während einer gemeinsamen Musikstunde, die aber im Wesentlichen von den begleitenden Lehrern getragen wurde, während die Aborigines-Schüler eher teilnahmslos dabeisaßen. Schon im 19. Jhdt. gab es wohl neben den blutigen Auseinandersetzungen auch Beispiele für freundliches Miteinander, wie das folgende Bild zeigt. Mir kommt der Gedanke, ob es nicht angemessen sei, auch nur auf der Grundlage von political correctness, wenn die Kleiderordnung einmal getauscht würde und wir in das Outfit der Aborigines, das den klimatischen Verhältnissen hier sicherlich bestens Rechnung trägt, schlüpfen würden. Leider ist mir von derartigen Bestrebungen der Schulleitung nichts bekannt.

Es gab auch künstlerische Beiträge an diesem Abend. Die Theatergruppe sprach und sang Texte aus Antigone von Sophokles, dazu wurden Bilder von Kindern aus dem syrischen Bürgerkrieg auf eine Leinwand geworfen. Ich hatte vor kurzem eine miserable Aufführung der Antigone in Gießen gesehen, auf die ich mir keinen Reim machen konnte, hier erging es mir ebenso. Vielleicht muss mich David Dunn noch darüber aufklären. Dass der Krieg auch Spaß machen kann, war dann später zu hören. Tschaikowskys Ouvertüre 1812, die den Sieg über Napoleon feiert, kämpfte in der eigentlich strategisch und taktisch unterlegenen Aufstellung eines Schulorchesterarrangements mit den Tücken der Saalakustik, endete aber unter gewaltigen Kanonenschlägen und auf die Zuhörer gerichteten Blitzen und Konfettiregen zur allgemeinen Gaudi.

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